Den rassistischen und antiziganistischen Normalzustand brechen!

„Könnte man heute eine Rede zum Völkermord an den Juden halten und morgen nach Moskau fliegen, um den russischen Präsidenten davon zu überzeugen, dass er keine russischen Juden nach Deutschland reisen lässt? Nein, das könnte man zum Glück nicht. Man kann aber heute ein Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma einweihen und morgen zu einem EU-Gipfel reisen und dort – wegen der vielen von dort kommenden Roma – den Beitrittskandidaten Serbien und Mazedonien mit der Wiedereinführung der Visumpflicht drohen.“

(Leitartikel: In ganz Europa wird geheuchelt, Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung 25.10.12, von Norbert Mappes-Niediek)

Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wird nicht müde härtere Regeln gegen den angeblichen „Asylmissbrauch“ von Flüchtlingen zu fordern. Konkret gemeint sind damit die verfolgte Bevölkerungsgruppe der Roma u.a. aus Serbien und Mazedonien. Der (Abschiebe-) Minister will Schnellverfahren und die Visumfreiheit für eben diese Länder aufheben.

Friedrich schürt mit seiner rechtspopulistischen Politk rassistische und menschenverachtende Ressentiments. Dies geschieht auch noch just an den Tagen, in denen das Mahnmal für die im deutschen Faschismus ermordeten über 500 000 Sinti und Roma in Berlin eingeweiht wird. Vom Beschluss bis zur Errichtung dieses Ortes dauerte es 20 Jahre, solange mussten also Sinti und Roma warten bis auch sie einen zentralen Ort des Gedenkens erhielten. Das der Bundesinnenminister zur gleichen Zeit gegen diese europaweit verfolgte Minderheit hetzt und Stimmungsmache betreibt, muss für die Nachkommen des Völkermordes wie ein Schlag ins Gesicht sein.

Jenische, Sinti und Roma gehören zu der am meisten Verfolgten und Vertriebenen Minderheit in Europa. Über keine andere Minderheit weiß ein Großteil der Bevölkerung so wenig und meint zugleich so viel Negatives zu wissen wie über Sinti und Roma. Vorurteile und Ressentiments ihnen gegenüber bestimmen das Denken oft immer noch. Eine erschütternte Erhebung sagt zum Beispiel, dass 60 Prozent der Deutschen keine Roma als Nachbarn haben wollen. Genannt werden diese Feindseligkeiten  Antiziganismus, dazu zählen unter anderem:

  • Stereotypen die „Zigeunern“ negative Vorurteile zuschreiben, dazu gehören aber auch vermeintlich „positive“ Klischees aus Kunst, Kultur, Literatur und Medien, die aber nur die Kehrseite der negativen Vorurteile sind.
  • Angriffe auf Sinti, Roma und Jenische oder Menschen, die für Angehörige solcher Gruppen gehalten werden.
  • Gezielte antiziganistische Stimmungsmache in Politik, Medien und Gesellschaft. * Abschiebung und Vertreibung

Die Hatz auf die Gruppe der Sinti und Roma hat eine lange rassistische Tradition. Nachweise darüber gibt es seit dem ausgehenden Mittelalter. Im 15. Jahrhundert wurden sie eine Zeitlang staatlich geduldet, 1496 und 1498 wurden sie durch Reichstagsabschiede dann für vogelfrei erklärt. In „Meyers Konversations-Lexikon“ (Ausgabe 1888) erschien dieser antiziganistische Text:

„Was den Charakter der Zigeuner anlangt, so sind dieselben leichtsinnig, treulos, furchtsam, der Gewalt gegenüber kriechend, dabei rachsüchtig, im höchsten Grad cynisch und da, wo sie glauben es wagen zu können, anmaßend und unverschämt. Alle sind dem Betteln ergeben, gestohlen wird besonders von Weibern und Kindern“

Während der Zeit des deutschen Faschismus wurden sie wie andere „Volksschädlinge“ gnadenlos verfolgt und maschinell ihrer Ermordung zugeführt. Porrajmos („das Verschlingen“) bezeichnet den Völkermord an den europäischen Roma im faschistischen Deutschland. Der bis heute gepflegte Antiziganismus galt schon damals. So wurde der erst kürzlich verstorbene Nürnberger Sinto Franz Rosenbach von seinem Arbeitsplatz abgeholt und als „arbeitsscheu“ abgestempelt. Menschenverachtender Zynismus damals.

So schaut Zynismus heute aus: 70 Jahre nach dem Völkermord wird ein Denkmal für die Ermordeten eingeweiht und man versucht gleichzeitig zu verhindern, dass Roma aus den Ländern, in denen sie Pogromen ausgeliefert sind, fliehen können. Die BRD und auch die EU trägt eine besondere Verantwortung gegenüber diesen Menschen. Anstatt aber dieser Verantwortung gerecht zu werden, wird u.a. von deutschen PolitikerInnen auch noch widerliche rassistische Stimmungsmache und Politik betrieben.

In Weißenburg wurde das Haus einer Sinti-Familie schon zweimal Ziel eines antiziganistischen Anschlags. So wurde im Mai diesen Jahres die Frontseite ihres Hauses großflächig mit roter Farbe beschmiert. Bereits in der Nacht zu Allerheiligen 2011 war das Haus Ziel eines Angriffes geworden. Vorausgegangen war dem Angrif eine durch die Nacht ziehende grölende Horde Neonazis einer Weißenburger neonazistischen Kameradschaft. Die Ermittlungen wurden sehr schnell eingestellt. Die verdiente Aufmerksamkeit wurde dem Fall nicht zu Teil.  Mehr Infos unter: http://wug-gegen-rechts.de/2012/05/farbanschlag-auf-sinti-haus/ und wug-gegen-rechts.de/chronik-2011/ (31.10.2011 Antiziganismus in Weißenburg)

Ein Umdenken in Politik und Gesellschaft, wenn es um ein Miteinander, mit Sinti und Roma geht kann nur dann stattfinden, wenn Antiziganismus auf allen Ebenen offensiv entgegengetreten wird. Gefragt sind wir alle, wenn es darum geht Menschen zu schützen, unserer Verantwortung gerecht zu werden und Ressentiments und Vorurteile aus unserer Welt zu schaffen.

Veranstaltunghinweis: Vortrag zum Antiziganismus im 3. Reich am 29. Januar um 20.00 Uhr im Saal des Freundeskreis Jugendzentrum e.V., Eichstätterstr. 1, 91781 Weißenburg. Veranstalter: Landkreisbündnis gegen Rechts Weißenburg-Gunzenhausen (Solid Weißenburg ist Teil des Bündnisses)

Mehr Infos zum Thema Antiziganismus auf http://antizig.blogsport.de/

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